Pressestadt

Ein etwas rätselhafter Name für eine Wohnsiedlung. Gibt es hier doch keine Verlage, Radio- oder Fernsehsender und auch Zeitungen nur in den Läden des nahen OEZ (Olympia Einkaufszentrum).

Der Hintergrund zu diesem Namen ist, dass sich während der Zeit der Olympischen Spiele in diesem westlichen Teil des Olympiaparks die Unterkünfte der etwa 4.000 Journalisten befanden, die aus aller Welt angereist waren um über die Spiele zu berichten.

Im Fernmeldezentrum führten die Journalisten an 110 fest installierten Telefonapparaten 26.723 Gespräche und gaben 9.837 Telegramme mit insgesamt 6.377.718 Worten auf. Ein beliebter Treffpunkt war die Lobby im Erdgeschoss mit ihren 120 Sitzplätzen und einer riesigen Wand an Monitoren, auf denen zeitgleich alle gerade stattfindenden olympischen Wettkämpfe zu sehen waren (Quelle: Wikipedia).

Die Wohnungen in der Pressestadt ermöglichten es den Reportern in nur wenigen Minuten zu den Wettkämpfen zu gelangen, weil Shuttlebusse sie zu den Sportstätten brachten. Die damalige Bushaltestelle, von den Bewohnern „Pavillon“ genannt, steht heute noch im Zentrum der Olympia-Pressestadt. Ob dabei auch der damals einzigartige MAN Elektrobus zum Einsatz kam, ist uns leider nicht bekannt, aber zu vermuten.

Das Zentrum der Pressestadt war einst an der Riesstraße 50, wo sich heute das Berufsschulzentrum befindet. Sie umfasst übrigens auch die Gebäude zwischen Diesel- und Hanauerstraße und ist nicht nur der Teil östlich des OEZ (Werner-Friedmann-Bogen und Riesstraße), wie viele meinen. Die Häuser der Pressestadt wurden wärend der olympischen Spiele von 1 bis 45 durchnummeriert, um eine einfache Orientierung für die ortsfremden Pressemitarbeiter zu ermöglichen. Die Journalisten erhielten dann eine so genannte Quartierzuweisung mit einer Nummer wie z.B. 15-10-07-02. Dies bedeutete Haus 15, Etage 10, Wohnung 7, Zimmer 2. Das Haus an der Riesstraße 82/84 (Gebäude 16 & 17) war lange Zeit Münchens höchstes Wohnhaus.

Quelle: OpenStreetMap – bearbeitet

Für damalige Verhältnisse waren die Wohnungen überdurchschnittlich gut ausgestattet. Jedes Zimmer war mit einem Schwarz-Weiß-Fernsehgerät ausgestattet. Zudem wurde auf Wunsch eine Schreibmaschine mit der gewünschten Tastatur zur Verfügung gestellt. Weiterhin konnten sich die Journalisten ein Telefon oder ein Fernschreibgerät im Zimmer anschließen lassen. Dies allerdings auf eigene Kosten. In den Zimmern gab es Betten, Schränke, Kommoden, Tische, Stühle, Lampen, Teppiche und Kleiderbügel. All das wurde nach den Spielen als Ausstattung in die umliegenden Bundeswehr-Kasernen gebracht.

Eine strenge Zusammenlegung nach Nationen oder Staatsangehörigkeit der Pressevertreter wie das im Olympiadorf mit den Sportlern der Fall war, fand nicht statt. Stattdessen achtete das OK bei der Raumaufteilung in der Pressestadt darauf, daß Kollegen der gleichen Zeitung, Nachrichtenagentur, Rundfunk- oder Fernsehanstalt möglichst zusammen eine Wohnung erhielten. Denn: Jeder Journalist erhielt ein eigenes Einzelzimmer, das jedoch Teil einer Zwei-, Drei- oder Vier-Zimmer-Wohnung war. In der Dokumentation der Spiele steht extra, dass man davon ausging, dass dies nicht nur die Arbeit der Journalisten vereinfachen würde, sondern auch die Abstimmung über Dauer und den Zeitpunkt der Nutzung des gemeinsamen Badezimmers.

Wie Veronika Linden, langjährige Bewohnerin der Pressestadt, im Jubiläums-Dorfboten „50 Jahre Olympiadorf“ berichtet, ergab sich daurch letztlich aber sehr wohl eine Aufteilung nach Ländern. Halt nicht der Menschen selbst, aber nach Sitz der Zeitung bzw. Agentur, für die sie arbeiteten. Hier also nun ähnlich wie die „Nationentafel des Olympiadorfes“ mit den Sportlern, die „Nationentafel der Pressestadt“ von 1972. Die Zahlen beziehen sich auf die Gebäudenummern auf dem Plan weiter oben auf dieser Seite.

Nicht eingerichtet waren die Küchen in den einzelnen Wohnungen. Doch das war kein Problem, wie in der Dokumentation der Spiele nachzulesen ist. Dort heißt es: „Auf heißen Kaffee und Tee oder ein kaltes Erfrischungsgetränk brauchten die Journalisten deshalb nicht zu verzichten. Der Etagensteward servierte dies kostenlos. Er wechselte auch täglich die Handtücher und jeden zweiten Tag die Bettwäsche. Insgesamt 1.217 Stewards betreuten die Journalisten in drei Schichten rund um die Uhr. Es handelte sich dabei ausnahmslos um Angehörige der Bundeswehr. Von ihrem aufmerksamen Service waren die Journalisten besonders angetan.“ Zudem: Rund 100 RaumpflegerInnen hielten die Zimmer sauber, ein eigener Handwerkerservice behob kleinere technische Schäden. Für das Zimmer und den hotelähnlichen Service mussten die Journalisten aus aller Welt aber bezahlen. Je nach Größe wurde eine Tagespauschale von 30,- DM, 40,- DM oder 50,- DM fällig. Außerdem gab es Appartements, deren Preis sich auf 75,- DM belief.

In den o.g. Zimmerpreisen inbegriffen waren auch das Frühstück und eine Hauptmahlzeit im Presse-Restaurant, das von den Journalisten in höchsten Tönen gelobt wurde und von der Fa. Haberl betrieben wurde. Insgesamt wurden 120.000 Essen, 800 Hektoliter Bier und 20.000 Liter Wein konsumiert. Das Konzept: Ein Großrestaurant mit gelenkter Selbstbedienung und feinen Speisen. Es gab verschiedene Suppen, Vorspeisen, Salate, Beilagen, Hauptgerichte und Desserts. An acht Theken konnten die Journalisten sich ihr eigenes Menü zusammenstellen. Auch an die, die auf ihre Linie achten mussten oder wollten, war gedacht: Wer bei allen sechs Gängen das mit einem Stern auf der Speisekarte gekennzeichnete Gericht wählte, kam nicht über 500 Kalorien pro Mahlzeit. Wer nicht auf seine Figur achten musste, konnte hingegen auch mehrere Hauptgerichte beziehen. Ein weiterer Essens-Bon kostete 10,- DM. Die Speisekarte wechselte täglich. Nach zehn Tagen begann sie wieder von vorne. Die Öffnungszeiten waren 6 bis 10:30 Uhr (Frühstück), 11 bis 15 Uhr (Mittagessen) und 18:30 bis 1 Uhr nachts (Abendessen).

Nachdem die Olympischen Spiele vorbei waren, wurden die Gebäude als Wohnungen vermietet. Die Architekten der Gebäude waren Alfred Angerer und Alexander von Branca. Ihnen war es besonders wichtig, die Wohnsiedlung mit allen wesentlichen Funktionen des städtischen Lebens auszustatten. Die Fakultät für Tourismus – Digital Marketing & Management – Hochschule München schreibt hier über die private Nutzung der Wohnungen in der Pressestadt nach den Spielen: „So gibt es neben den 1.037 öffentlich geförderten Wohnungen und 190 Eigentumswohnungen sowie 430 Appartements eine Gaststätte, eine Pizzeria und eine Kegelbahn.“ Die Pizzeria gibt es immer noch, die Kegelbahn nicht mehr. Heute leben in den Wohnhäusern der Pressestadt rund 1.800 Menschen – viele schon seit kurz nach den Olympischen Spielen. Ähnlich wie im Olympiadorf sind zumindest im östlichen Teil die Autos in den Untergrund verbannt und viele Pflanztröge machen die Pressestadt lebenswert.

Author: UB

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